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Politisches Versagen, Intensivstationen: Ein Drittel der Betten ist gesperrt

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Kurz vor dem Winter zeigt eine aktuelle Umfrage unter Intensivmedizinern, dass die Zahl gesperrter Intensivbetten auf ein Rekordniveau angestiegen ist. Grund dafür ist der Mangel an Intensivpflegenden. Spürbare Einschränkungen in der Versorgung sind zu erwarten.

Angesichts zunehmender Berichte über Intensivbettensperrungen in den Krankenhäusern als Folge von Personalmangel führten die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) 2018 erstmalig eine Umfrage unter Intensivmedizinerinnen und -medizinern zum quantitativen Ausmaß des Personalproblems durch. Damals berichteten 44 Prozent der Teilnehmenden, dass Bettensperrungen nicht erforderlich waren (DÄ 11/2018). Bei 47 Prozent waren regelhaft zwei Betten gesperrt.

Nach 18 Monaten COVID-19-Pandemie und zahlreichen Berichten über ärztliches und pflegerisches Personal an der Grenze der Belastungsfähigkeit soll die aktuelle Befragung das Problem quantifizieren und mögliche Ursachen eruieren. Dabei wurden erneut die Mitglieder von DGIIN und DIVI zu einer Onlinebefragung eingeladen. Insgesamt nahmen 643 erfahrene Ärztinnen und Ärzte mit einem medianen Alter von 50 Jahren an der Umfrage teil, darunter 29 Prozent Chefärzte und 55 Prozent Oberärzte. Angesichts von circa 1 700 Intensivstationen in etwa 1 300 Krankenhäusern kann diese Umfrage als repräsentativ angesehen werden. Anzeige

Im Ergebnis zeigt sich, dass ohne Personalmangel im Median zwölf High-Care-Intensivbetten pro Intensivstation betrieben werden könnten sowie sechs Low-Care-Intensivbetten. In High-Care-Betten können Patienten invasiv beatmet werden, in Low-Care-Betten ist dies nicht möglich. Allerdings sank die Zahl der Teilnehmenden in der aktuellen Umfrage deutlich, die angaben, keine Intensivbetten sperren zu müssen: von 44 Prozent im Jahr 2018 auf 15 Prozent. Dabei sperren 37 Prozent die Betten immer und 22 Prozent nahezu täglich (Grafik 1). Diese Sperrungen führten zumindest vorübergehend zu einer Einschränkung der Notfallversorgung und zum Verschieben von Operationen. Vor der anstehenden Herbst- und Winterwelle der COVID-19-Pandemie mit zu erwartender hoher Belastung für das Personal sind somit bereits heute 20 Prozent der maximal betreibbaren High-Care-Betten und 35 Prozent der Low-Care-Betten gesperrt. In der Folge befürchten 52 Prozent der Befragten in den kommenden Monaten eine unzureichende Versorgung der Bevölkerung.

Grafik 1 Bild vergrößernAlle Bilder

Lage hat sich verschlechtert

Hauptursächlich für die Bettensperrungen ist in 75 Prozent der Fälle der Mangel an Intensivpflegenden. 70 Prozent der Befragten gaben an, dass sich die Lage im Vergleich zur Situation vor der Pandemie verschlechtert habe. In 66 Prozent der Fälle steht weniger Stammpersonal zur Verfügung (Grafik 2). Als direkte Folge hat der Anteil der Zeitarbeitenden in 43 Prozent der Fälle zugenommen. Zudem verschlechterte sich die Stimmung in 51 Prozent der Fälle – in 14 Prozent sogar sehr (Grafik 2). Eine psychosoziale Unterstützung erfolgte allerdings nur bei 33 Prozent der Befragten. Positiv zu vermerken ist, dass der Pflegeschlüssel in 70 bis 80 Prozent der Fälle bei 1:2 in den Tagschichten und in 89 Prozent der Fälle bei 1:3 oder darüber in den Nachtschichten lag (Tabelle). Im Vergleich zu 2018 ist dies die einzige Verbesserung.

Grafik 2 Bild vergrößernAlle Bilder

Tabelle Pflegeschlüssel auf den Intensivstationen Bild vergrößernAlle Bilder

Die aktuelle Umfrage unter erfahrenen Kolleginnen und Kollegen unterstreicht die zunehmende Verschlechterung der Situation in der Intensivmedizin. Es ist ein Negativrekord, dass 20 Prozent der maximal betreibbaren High-Care-Betten und 34 Prozent der Low-Care-Betten gesperrt sind. Trotz aller (politischen) Bemühungen zeigt sich hier eine dramatische Entwicklung in die falsche Richtung. Unzweifelhaft tragen die gesetzlich verordneten Mindestgrenzen bei der Pflegepersonalbesetzung dazu bei, dass weniger Intensivbetten betrieben werden können. Allerdings zeigt sich in dieser Umfrage auch, dass sich nicht alle Standorte an die Pflegepersonaluntergrenzen halten (können). Die zurückliegenden, zermürbenden Monate der Coronapandemie haben zu einer Verschlechterung der Stimmung, zu weiteren Kündigungen von Stammpflegekräften und zum vermehrten Einsatz von Zeitarbeit geführt.

Die schon vor der Pandemie nachweisbaren Probleme in der Intensivmedizin haben sich verstärkt. Somit ist in kommender Zeit mit einer spürbaren Einschränkung in der Versorgung der Bevölkerung zu rechnen. Eine absehbar schwere Herbst- und Winterwelle mit vielen COVID-19-Patienten, aber auch weiteren respiratorischen Infektionen, zum Beispiel Influenza oder RSV, kann die Intensivmedizin in Deutschland erneut an ihre Grenzen bringen und darüber hinaus. Denn der Beatmungsanteil von Intensivpatienten wird voraussichtlich deutlich steigen und mit ihr auch die Arbeitsbelastung des Personals auf den Intensivstationen. Ein „Weiter so“ wird unter anderem in der Intensivmedizin nicht mehr möglich sein. Eine in der Gesellschaft offen geführte Debatte zu Priorisierungsfragen sowie zur Verankerung gesundheitlicher oder vorausschauender Versorgungsplanungen erscheint deshalb dringend notwendig.

Wenig psychosoziale Hilfe

Aktuell würden alle Maßnahmen, die dazu beitragen, die anstehende Welle möglichst flach zu halten, dabei helfen, die Intensivmedizin nach der Pandemie nicht ausgedünnt zurückzulassen. Die oft geforderte psychosoziale Unterstützung ist nur bei einem Drittel der Befragten an der Basis angelangt. Ob sich die prekäre Situation nach 18 Monaten Pandemie noch ändern lässt, muss bezweifelt werden. Elementar erscheint eine grundlegende politische Reform des Systems, die eine Reduzierung der Arbeitsbelastung auf den Intensivstationen umsetzt. Die DIVI hat gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege (DGF) im März dieses Jahres eine Stellungnahme dazu veröffentlicht, wie die Intensivpflege in Deutschland gestärkt werden kann. Darin werden unter anderem ein verbindliches Personalbemessungsinstrument, moderne Arbeitszeitmodelle, psychosoziale Unterstützungsangebote und der Aufbau beruflicher Perspektiven gefordert. Für eine erfolgreiche Bewältigung der Coronapandemie ist es jetzt unbedingt erforderlich, diese Forderungen umzusetzen und das System grundlegend zu reformieren.

Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis
christian.karagiannidis@uni-wh.de
Prof. Dr. med. Uwe Janssens,
Prof. Dr. med. Stefan Kluge

Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin
Prof. Dr. med. Felix Walcher,
Prof. Dr. med. Gernot Marx
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin

7 Kommentare

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