
Heute werden in Deutschland in 16 Bundesländern 1.152 Spaziergänge stattfinden, hieß es diesen Montag auf Twitter. Diese Zahl dürfte indes deutlich zu tief gegriffen sein, denn dies waren nur gelistete und bekannte Veranstaltungen.
Großen Zulauf hatten die Demonstrationen vor allem im Osten Deutschlands. Epizentrum und bundesweite Spitze war Rostock mit 17.000 Teilnehmern. In Schwerin zählte der Demonstrationszug rund 4.000 Spaziergänger, in Magdeburg zeigten mehr als 12.000 Menschen Gesicht.
In Sachsen machten Zehntausende Menschen ihrem Unmut gegen die Kretschmer-Regierung und deren Coronapolitik Luft. Die Proteste verliefen fast überall friedlich. In Bautzen eskalierte die Situation, als der Spaziergang unvermittelt von der Polizei mit einem Pfefferspray-Einsatz gestoppt werden sollte.
In Thüringen spazierten mehr als 10.000 Menschen gegen die Corona-Regeln, wie der MDR berichtete. Gut möglich, dass diese Schätzung allzu konservativ war, denn allein in Gera waren 4.000 Menschen auf der Straße. Sehr gut besucht waren Wittenberg (4.000), Cottbus (3.000) Nürnberg (lt. Polizei 4.700), Braunschweig (3.000), Bruchsal (3.000), Göppingen (1.800) und Heidenheim an der Brenz mit 1.500 Teilnehmern.
Trotz Polizeiverbot auf der Straße
Bezogen auf die Einwohnerzahl besonders aktiv zeigte sich das Stuttgarter Umland. Geradezu exponentiell war das Wachstum in Vaihingen an der Enz. In der Kreisstadt mit ihren rund 29.000 Einwohnern zogen knapp 700 Menschen durch die Straßen und Gassen. Vor drei Wochen waren es nicht einmal 200 Teilnehmer. Noch größer war der Anteil der Spaziergänger im 17.000 Einwohner-Städtchen Brackenheim, das stolze 1.500 Menschen mobilisieren konnte.
Zwischen 1.500 Personen (laut Polizei) und 3.500 (nach Angaben von Teilnehmern) fanden sich in Pforzheim ein, um ihren Unmut über die Corona-Maßnahmen auf die Straße zu bringen. Während der gesamten Dauer lief die Veranstaltung friedlich ab. Während von Gegendemonstranten nichts zu sehen war, reihten sich viele außenstehende Bürger in den Spaziergang ein.
In Rheinland-Pfalz gab es nach Angaben des Innenministeriums am Montag 76 Demonstrationen, die teils von den zuständigen Kreisen und Städten verboten worden waren. So hatten in der Südpfalz zuvor die Städte Landau, Speyer, Neustadt und Frankenthal sowie die Kreise Germersheim, Südliche Weinstraße und Bad Dürkheim die Allgemeinverfügung zum Verbot von „Corona-Spaziergängen“ am Montagnachmittag verlängert.
«Leere Mannschaftswagen als neue Polizeitaktik»
Allein in Kaiserslautern versammelten sich nach Angaben der Polizei insgesamt rund 1.500 Menschen in der Innenstadt, obwohl eine solche Veranstaltung verboten war. Die Beamten schritten aber nicht ein, sondern machten mit Lautsprecherdurchsagen darauf aufmerksam, dass die Veranstaltung nicht erlaubt sei.
In den meisten Städten blieb es friedlich, die Polizei hielt sich dezent zurück. Der Ulmer Rechtsanwalt Markus Haintz sprach von einer „vorbildlichen Polizeiarbeit, so wie wir das aus Ulm kennen“. Ein Polizeimotorrad habe mit ein paar weiteren Einsatzkräften den Verkehr geregelt.
Der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg ortete derweil mit leeren Mannschaftswagen eine neue Polizeitaktik. „Sie werden bei Spaziergängen beigestellt, um nicht existierende Einsatzkräfte vorzuspiegeln“, twitterte der Wissenschaftler, der bis vor kurzem Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover war. Seine Erklärung für dieses Phänomen: „Bei großen Demos kann man Unterstützung aus der Provinz holen. Wenn aber in der Provinz selbst überall demonstriert wird … tja.“
München droht mit Bußgeldern von bis zu 3.000 Euro
Mit Blick auf das Verhalten der Polizei machte diese dpa-Meldung Mut, die gestern über die Ticker lief: Vor dem Hintergrund der massiven Proteste und der gesunkenen Infektionszahlen hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen angeregt, Einschränkungen des Versammlungsrechts aufzuheben.
Angesichts der sich wöchentlich wiederholenden Versammlungen und der dadurch notwendigen Polizeieinsätze entstehe das Gefühl, „dass die Polizei als Ersatz des politischen Meinungsstreits missbraucht wird“, erklärte GdP-Landeschef Hagen Husgen am Dienstag. „Gesellschaftliche Probleme lassen sich aber grundsätzlich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen.“
München scheint davon wenig beeindruckt und hat die geplante Corona-Demonstration am 29. Dezember verboten. In der am Dienstag erlassenen Allgemeinverfügung hieß es konkret: Im gesamten Stadtgebiet seien „alle stationären oder sich fortbewegenden Demos im Zusammenhang mit sogenannten Coronaspaziergängen verboten“.
Die bayerische Landeshauptstadt zeigt sich rigoros: „Die Teilnahme an nicht im Vorfeld angemeldeten und auflagenkonformen Demos gegen die Pandemiebekämpfung ist eine Ordnungswidrigkeit und wird polizeilich verfolgt. Gegen jeden einzelnen Teilnehmer kann ein Bußgeld bis 3.000 Euro verhängt werden.“
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